Dr. Lohaus, Führung, Organisation
DVZ Deutsche Logistik-Zeitung vom 8. September 2011
Die komplexen Strukturen moderner Versorgungsketten fordern pragmatisch handelnde und abstrakt denkende Logistikmanager. Auch Quereinsteiger mit Managementerfahrung haben in der Logistik Chancen. Andererseits zählen aber noch immer die altbekannten Spediteurseigenschaften.
Mehr als 2,7 Millionen Menschen sind in der deutschen Logistikwirtschaft beschäftigt - viele davon in kleinen und mittleren Betrieben. Doch der Trend geht eindeutig zu größeren Unternehmensgruppen und Kooperationen. Die damit verbundene Ausweitung des Dienstleistungsportfolios verfolgt den Zweck, die deutlich gesteigerten Erwartungen der Kunden an die Logistikdienstleister zu erfüllen und sich zugleich im wettbewerbsintensiven Branchenumfeld zu differenzieren. Um diesem neuen Anforderungsprofil zu genügen, muss auch die Geschäftsleitung eines Logistikunternehmens zusätzliche Qualifikationen aufweisen.
Der klassisch intern zur Führungskraft aufgestiegene Speditionskaufmann stößt dabei immer häufiger an seine Grenzen, so eine Marktbeobachtung des Personal- und Unternehmensberaters Ulrich Lohaus. So gehören zum Angebotsportfolio eines Logistikdienstleisters heute nicht mehr nur Transport-, Umschlags- und Lagerleistungen, sondern auch die Gestaltung, Umsetzung und Organisation vollständiger Lieferketten (Supply Chains). Darüber hinaus wird von einem modernen Logistikdienstleister, wenn er etwa als Lead Logistics Provider (LLP) tätig ist, die Organisation aller wesentlichen logistischen Prozesse einschließlich der Lieferantenkoordination, der IT-Integration sowie der Übernahme kundenspezifischer Value Added Services erwartet. Ein derartig aufgestellter Dienstleister kann zugleich auch die Funktion eines Fourth-Party-Logistikers (4PL) wahrnehmen, der keine eigenen Fahrzeuge und Lagerhallen mehr unterhält, sondern als neutraler Mittler zwischen seinen Kunden und anderen Logistikdienstleistern fungiert.
Mit Hauruck geht es nicht.
Um Unternehmen mit solchen Leistungsspektren zu lenken, müssen Führungskräfte in der Logistik ganz bestimmte Kompetenzen mitbringen. An erster Stelle stehen ein hohes Abstraktionsvermögen sowie die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte schnell zu erfassen und sicher zu beherrschen. Außerdem müssen an die Stelle der früher häufig in der Logistik zu beobachtenden „Hauruck-Mentalität“ das Denken in ganzheitlichen und integrierten Prozessen sowie die Fähigkeit treten, strategisch, aber pragmatisch zu planen und zu arbeiten. Darüber hinaus sind neben einer strukturierten und methodischen Arbeitssystematik ausgeprägte IT-Kenntnisse erforderlich. Letztlich geht es um die Kombination aus Management- und ingenieurwissenschaftlichen Erfahrungen verbunden mit einem soliden kaufmännischen Wissen.
Beispiel Modebranche – Logistik aus einer Hand.
Wie wichtig diese Kompetenzen für Logistikmanager sind, zeigt sich in der Modebranche. Denn die Anforderungen von Unternehmen der Lifestyle- und Fashionindustrie haben sich in den vergangenen Jahren dahingehend geändert, dass die Betreuung der kompletten Supply Chain in die Hände eines oder einiger weniger Logistikdienstleister (LLP oder 4PL) gelegt wird. Dabei geht es um die integrierte und optimierte Planung und Steuerung aller logistisch relevanten Prozesse von der Produktion in Fernost, Osteuropa oder Nordafrika bis hin zur europaweiten Distribution in jeden einzelnen Shop. Das Aufgabenspektrum umfasst dabei die Qualitätskontrolle möglichst nah an der Produktion, den Landtransport zum See- oder Flughafen im Produktionsland, den anschließenden See- und/oder Lufttransport, den Nachlauf beispielsweise zu einem europäischen Zentrallager sowie die Lagerung, Aufbereitung, Etikettierung, Anbringung von Accessoires und Kommissionierung. Dabei kommt es wesentlich darauf an, die Parallelität und den permanenten Abgleich von Waren- und Informationsflüssen sicherzustellen und zu jeder Zeit über die korrekten Status- und Prognose-Informationen zu verfügen.
Mittelständisch denken.
Der Logistikmanager der Zukunft sollte also „spezialisierter Generalist“ und nicht ausschließlich „altgedienter Praktiker“ sein, dessen Aufstieg zur Führungskraft zwar jahrzehntelang sachgerecht und daher erfolgreich möglich war, aber bei den kontinuierlich komplexer und anspruchsvoller werdenden Aufgaben, die sich der Logistik stellen und gerade deren enorme Zukunftschancen begründen, zunehmend an seine Grenzen stößt. Eine Lösung für Unternehmen, um auch künftig wettbewerbsfähig zu sein, ist daher die Besetzung von Führungspositionen mit Quereinsteigern, die keine gelernten Logistiker sein müssen, sondern in erster Linie eine breite Managementerfahrung mitbringen.
Um die passenden Kandidaten für das eigene Unternehmen zu interessieren, muss dieses den Erwartungen der Führungskräfte an Strukturen und Rahmenbedingungen, die professionelles Arbeiten erst ermöglichen, entgegenkommen. Nur so lassen sich die begehrten Quereinsteiger nicht nur für das Logistikwesen begeistern, sondern auch langfristig an das Unternehmen binden. Wichtig ist dabei allerdings, dass die ein Logistikunternehmen kennzeichnende Flexibilität und Unmittelbarkeit seiner zumeist mittelständischen Strukturen nicht verloren gehen. Denn auf die geschätzte und gewohnte Geschwindigkeit und Direktheit im täglichen Umgang möchten die Kunden keinesfalls verzichten.
Alte Prägung weiter gefragt.
Die Herausforderung für die Branche besteht also darin, dass die Logistikmanager neuen Typs von der Qualifikation her eher aus größeren, klar professionell ausgestalteten Strukturen kommen werden, von der Persönlichkeit her aber in der Lage sein müssen, in mittelständischen, bisweilen (noch) semi-professionell ausgestalteten Strukturen sich zurecht zu finden und erfolgreich zu arbeiten.
In Zukunft wird es in den Führungsfunktionen der Logistikdienstleister also auf den richtigen Mix ankommen – die richtige Zusammensetzung von Führungsteams, aber auch die Kombination der diversen Kompetenzen bei den einzelnen Persönlichkeiten selbst. Im Hinblick auf die künftige Gültigkeit herkömmlicher Ausbildungshintergründe in der Logistik geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Viele der Charakteristika des Speditionskaufmanns alter Prägung, der sich durch Kreativität, Unkompliziertheit und die Fähigkeit auszeichnet, innerhalb kürzester Zeit Lösungen zu finden, gehören auch zum Profil des „neuen“ Logistikers, aber eben längst nicht nur.
Ulrich Lohaus studierte Rechtswissenschaften und promovierte im Wirtschaftsrecht. Anschließend arbeitete er zunächst langjährig für einen international agierenden Logistik-Konzern, zuletzt als Vertriebsgeschäftsführer und Mitglied des European Board. Im Anschluss wechselte er zu einer Unternehmensgruppe der chemischen bzw. grafischen Industrie und war dort Geschäftsführer der Holdinggesellschaft und zugleich operativ verantwortlicher Spartengeschäftsführer. Seit 2008 ist er im Top Executive Search tätig, seit mehreren Jahren als Partner/Gesellschafter bei Interconsilium in Düsseldorf.