Dr. Viebahn, Führung, Organisation
Professor Robert S. Kaplan
Von Dr. Marc Viebahn
Nach einer erfolgreichen Management-Karriere lehrt Robert S. Kaplan seit 2005 als Professor für Management Practice an der Harvard Business School in Boston, berät zahlreiche internationale Top-Manager in Führungs-fragen und führt selber als Co-Chairman die Draper Richards Kaplan Foundation.
Mit Interconsilium spricht er darüber, was nach seinen Erfahrungen Führungskräfte erfolgreich macht und was sie häufiger tun sollten – fragend in den Spiegel schauen.
INTERCONSILIUM: Ihre bisherige Karriere spielte sich zwischen der Wall Street und der Wissenschaft ab. Es gibt wohl viel mehr Beispiele für Karrieren, die in Harvard begannen und dann an der Wall Street fortgesetzt wurden als umgekehrt. Warum haben Sie sich für Ihren Weg entschieden?
KAPLAN: Durch ein Sabbatical bin ich zurück nach Harvard gekommen, um für ein Semester zu unterrichten. In dieser Zeit habe ich hier ein ganz ähnliches Beratungsgeschäft betrieben wie vorher. Ich berate jetzt genauso viele CEOs wie in meiner vorherigen Position. Meine praktische Erfahrung aus der Wirtschaft hat einen großen Einfluss auf die Schulung von MBAs und Executives. Die Unternehmen wiederum profitieren von den Themen, die ich lehre.
INTERCONSILIUM: Sie haben also einfach einen Wechsel von der Finanzberatung zur Führungskräfteberatung vollzogen?
KAPLAN: Obwohl natürlich alle denken, an der Wall Street zu arbeiten hat etwas mit Finanzberatung zu tun, sehe ich das etwas anders. Mein Job war es, CEOs, Unternehmen und Privatkunden darin zu beraten, welche Schritte sie machen sollten, um ihr Unternehmen, ihre Stiftungen oder sich selber zu verbessern. Ironischerweise sehe ich mich eher als jemanden mit einer Nähe zu Märkten und Führungsthemen als zu Finanzen. Ich habe den Leuten geholfen, ihre Geschäfte vom Punkt A zum Punkt B zu bewegen, wie immer das auch genannt wird.
Robert S. Kaplan ist Professor of Management Practice an der Harvard Business School, Leiter Campaign Planning der HBS Capital Campaign und Co-Chairman der Draper Richards Kaplan Foundation, einer globalen Stiftung zum Aufbau von Non-Profit-Unternehmen. Bevor er 2005 als Professor in Harvard begann, war er
Vice Chairman der Goldman Sachs Group mit der Gesamtverantwortung für das Investment Banking und das Investment Management.
INTERCONSILIUM: Und seitdem lehren Sie Führungsthemen für MBAs und Executives.
KAPLAN: Genau, ich unterrichte einige hundert MBAs und einige tausend Executives jedes Jahr in Führungsfragen. Zusätzlich arbeite ich beratend mit vielen CEOs an der Optimierung ihrer Unternehmen.
INTERCONSILIUM: Wie ist denn Ihre Definition von Führung und Führungskraft?
KAPLAN: Fragen Sie einhundert Personen und Sie bekommen ebenso viele unterschiedliche Definitionen von Führung. Für mich ist Führung, mich zu entscheiden, an was man glaubt und den Mut zu haben, dementsprechend zu handeln, dass daraus ein Wert für andere entsteht. Das macht für mich eine Führungskraft aus. Nach dieser Definition bedarf es nicht einmal direkter Mitarbeiter, um zu führen. Ein Polizist ist für mich daher eine Führungskraft. Man kann aber auch tausende Mitarbeiter verantworten, ohne eine Führungskraft zu sein, weil man nie herausgefunden hat, an was man selbst eigentlich glaubt und nie den Mut hatte, dafür einzustehen, so dass sich ein Wert für andere daraus ergeben würde. Ich kenne Manager, die sich somit einfach nicht wohlfühlen. Die können ganz ordentliche Manager sein, aber keine guten Führungskräfte. Führung ist eine Einstellung zur Verantwortung.
INTERCONSILIUM: Kann man denn nach Ihrer Erfahrung aus Wissenschaft und Praxis Führung lernen oder wird man mit Führungsfähigkeiten geboren?
KAPLAN: Sie können nicht nur Führung lernen - Sie müssen es sogar. Ich persönlich habe noch keine hervorragende Führungspersönlichkeit getroffen, die dies nicht lernen musste. Man kann mit Talenten geboren werden. Das bedeutet aber nicht, dass man automatisch führen kann. Vielmehr ist Führung eine der größten Herausforderungen für talentierte Menschen. Wenn diese sehr talentiert sind, warum sollten sie dann beispielsweise Dinge an andere delegieren? Sie können das selber immer besser machen und warum sollte so jemand andere coachen? Es gibt viele Dinge, die eine Führungskraft tun muss, die unbequem und nicht intuitiv sind. Je talentierter man ist, desto zurückhaltender ist man, diese Dinge zu tun. Ich werde häufig gefragt, welches der wichtigste Punkt ist, um eine exzellente Führungskraft zu werden. Aus meiner Sicht ist es, die Offenheit zu haben, kontinuierlich zu lernen. Wer diese Offenheit nicht hat, ist vielleicht für eine gewisse Zeit eine gute Führungskraft, es wird aber sehr schwer, dieses über eine längere Zeit zu sein - sehr schwer.
INTERCONSILIUM: Ist das die Grundidee hinter Ihrem neuen Buch, welches Sie "Was Sie die Person im Spiegel fragen sollten", genannt haben? Zu lernen, durch die richtigen Fragen die richtigen Antworten zu erhalten?
KAPLAN: In dem Buch geht es darum, welche Fragen man sich als Führungskraft stellen muss. Es geht aber auch um zahlreiche Beispiele, wie man diese zentralen Fragen beantworten kann. Ich sage jedoch den Lesern ganz bewusst nicht, wie die Fragen zu beantworten sind. Die Antworten müssen immer sehr spezifisch für jedes Unternehmen beantwortet werden. Die meisten Vorstände, mit denen ich spreche, die das Buch gelesen haben, haben danach jeweils für sich die unterschiedlichsten Antworten gefunden.
INTERCONSILIUM: Warum ein Buch über Fragen? Hinterfragen sich Manager nicht genug?
KAPLAN: Es geht hier eher darum, wie man sich ganz zentrale Fragen stellt und diese dann beantwortet; das muss man beides lernen. Aber zu Ihrem Punkt. Manager stellen Fragen. Sie stellen aber teilweise nicht die richtigen Fragen, und sie gehen häufig nicht die notwendigen Schritte, diese zu beantworten. Ich sehe viele Manager, die sagen: Ich beantworte dauernd die wichtigen Fragen. Wenn man aber mit den Mitarbeitern in der Organisation redet, sagen diese: Die wichtigen Fragen werden nicht gestellt, nicht beantwortet, und es wird nicht zugehört. Ich sehe das immer wieder. Selbst wenn die richtigen Fragen gestellt werden, werden diese nicht richtig diskutiert, oder die Antworten führen zu wenig Erkenntnis in Bezug auf notwendige Entscheidungen. Häufig fehlt die richtige Herangehensweise, um wichtige Fragen richtig zu diskutieren, und man ist sich dessen noch nicht einmal bewusst, weil man einfach nicht weiß, wie es gehen soll. Ich habe mein bisheriges Leben damit verbracht, mit Management-Teams zu arbeiten und die zentralsten Fragen der Unternehmen zu beantworten. Anscheinend bedarf es jemandem, der von außen in das Unternehmen kommt und dieses tut.
INTERCONSILIUM: Das wirft kein gutes Licht auf die Problemlösungs- und Kommunikationsfähigkeit von Managern.
KAPLAN: Das ist auch nicht einfach. Die Definition der Frage, das Stellen der Frage. Wer arbeitet an der Beantwortung mit? Wie sind die Rollen bei der Beantwortung? Hört man zu oder beeinflusst man die Diskussion? Wie geht man mit neuen Punkten um? Wann biegt man eine Diskussion ab? Wann ermutigt man zu tiefergehendem Austausch? Das sind Fähigkeiten, die Übung brauchen. Viele Menschen sind einfach schlecht darin. Auch viele sehr talentierte Manager sind schlecht darin. Das muss gelernt werden.
INTERCONSILIUM: Ein weiterer Grundpfeiler Ihres Blicks auf Führung sind Visionen und Prioritäten. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt soll gesagt haben: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen."
KAPLAN: Ob Helmut Schmidt es zugibt oder nicht, ich kann Ihnen über Helmut Schmidt sagen, das er eine klare Vision hatte. Ich denke, hier reden wir eher über semantische Fragen. Sie kennen Herrn Schmidt sicher besser als ich. Er hatte aber eine klare Vision, die die meisten seiner Entscheidungen leitete. Und wenn er die nicht hatte, so hatte er es sehr schwer, seine Entscheidungen zu treffen. Vielleicht gefiel ihm das Wort Vision nicht. Dann nennen Sie es anders. Ich rede davon, welchen Wert ich auf Basis welcher besonderen Fähigkeiten schaffen möchte. Welchen positiven Wert möchte ich für andere schaffen? Das kann man ja nennen wie man mag, aber ich habe noch keine wirkliche Führungskraft getroffen, die nicht ein sehr genaues Bild davon hatte. Man kann es Vision nennen oder Aspiration. Man kann es nennen, wie man mag, aber in jedem Unternehmen muss man ein gutes Verständnis dafür haben, für wen man auf Basis welcher Kompetenzen welchen Wert schafft. Die Führungskraft macht dann nichts anderes, als die Entscheidungsprozesse und die Organisation darauf auszurichten. Wie der alte Spruch sagt: Es ist viel einfacher anzukommen, wenn man weiß, wohin man will.
INTERCONSILIUM: Gibt es demnach zu wenig Führungskräfte, die wissen, wo sie hinwollen?
KAPLAN: Die meisten guten Führungskräfte haben ein gutes Verständnis davon. Ich kann Ihnen hundert Beispiele dafür geben. Aber wenn Sie mir Führungskräfte mit Problemen zeigen, zeige ich Ihnen, dass es meistens Konfusion gibt in dem, was sie erreichen wollen und welches ihre Prioritäten sind. Da ist es ganz egal, ob es sich um Präsidenten von Staaten, Vorstände von Unternehmen oder Leiter von Non-Profit-Organisationen handelt. Überall herrscht diese Irritation, und damit wird effektive Führung verhindert.
INTERCONSILIUM: Selbst wenn man über eine klare Vision verfügt, muss diese gelebt werden. Wie implementiert man eine Vision erfolgreich in einer Organisation?
KAPLAN: Das ist schockierend einfach. Zuerst müssen Sie selber entscheiden, woran Sie glauben. Sie müssen wissen, worauf Sie vertrauen. Dann müssen Sie das mit Ihren wichtigsten Mitarbeitern diskutieren und ausarbeiten. Sobald ein gemeinsames Verständnis herrscht, kommunizieren Sie es, kommunizieren Sie es und kommunizieren Sie es. So werden Sie es schaffen.
INTERCONSILIUM: Ein Thema, das in unseren Gesprächen mit Klienten und Kandidaten immer wichtiger wird, ist nicht nur zu wissen, wohin ein Unternehmen gehen möchte, sondern warum und wofür man Leidenschaft entwickelt.
KAPLAN: Das passt genau in mein Konzept. Der Sinn ist der positive Wert, den man für andere generiert. Einige mögen sagen, der Sinn ist es, Geld zu verdienen, aber das ist normalerweise kein langfristiges Konzept. Das ist kein Sinn an sich. Wenn Sie Leidenschaft ansprechen, womit ich Ihnen komplett recht gebe, würde ich das Wort Überzeugung bevorzugen. Es ist sehr schwer, eine Leidenschaft für etwas zu entwickeln, von dem man nicht überzeugt ist, oder umgekehrt, es ist einfach, eine Leidenschaft für Dinge zu entwickeln, von denen man überzeugt ist. Leidenschaft und Überzeugung gehen hier Hand in Hand. Wenn Sie Kunden bedienen, müssen Sie sicherstellen, dass Sie wirklich von sich überzeugt sind und eine Leidenschaft für das haben, was Sie tun. Sie müssen es sich komplett zu eigen machen und dafür leben.
INTERCONSILIUM: Ohne diese Überzeugung ist es auch nicht möglich als Vorbild zu agieren, welches ein weiterer wichtiger Baustein Ihres Führungsmodells ist.
KAPLAN: Zumindest sehr schwer. Die erfolgreichsten Organisationen schulen so viele Mitarbeiter wie möglich durch interne Vorbilder. Und es ist nur sehr schwer möglich, sich vorbildhaft zu verhalten, wenn sich die Vorgesetzten nicht wie Vorbilder verhalten.
INTERCONSILIUM: Warum ist es so schwer, Worten auch Taten folgen zu lassen?
KAPLAN: Aus meiner Erfahrung heraus fand ich es ironischerweise gar nicht schwer. Um es anders zu sagen: Der Grund, warum Leute es schwer finden ist, weil sie es noch nie vorher gemacht haben. Wenn sie schon vorher mit einer festen Einstellung und Werten gelebt haben und auf diese Weise ihr Geschäft betrieben haben, werden sie es viel schwerer finden, sich jenseits ihrer Werte zu verhalten, weil sie festgestellt haben, dass dies für sie nicht funktioniert und es keinen Spaß macht. Sie müssen den Glauben und das Vertrauen haben, dass ihre Art und Weise, Dinge zu tun die richtige ist. Sie müssen vertrauen, dass Gerechtigkeit sich durchsetzt, dass wenn Sie alles richtig machen, das richtige Ergebnis herauskommt. Das funktioniert. Machen Sie es einfach. Für manche ist es eher schwer loszulassen und den Sprung zu wagen. Das ist ein emotionales Problem. Sobald man es macht, ist es einfach, da man nur authentisch sein muss.
INTERCONSILIUM: Und das hat nicht nur Auswirkungen innerhalb der Organisation, sondern kommt auch bei den Kunden entsprechend an.
KAPLAN: Richtig, und das ist genau das Problem, welches man an der Wall Street gerade hat. Drehen sich deren Ziele um sich selbst oder darum, wie man einen Wert für die Kunden generiert? Die Welt ist sich da nicht mehr so sicher, und deshalb haben einige dort Probleme.
INTERCONSILIUM: Fehlen dort derzeit die Visionen oder die internen Vorbilder?
KAPLAN: Beides. Man muss sowohl die Vision mit positivem Kundennutzen wieder herstellen als auch diese umsetzen, d.h. vorbildlich handeln. Wenn man jedoch Manager hat, die glauben, sie brauchten nicht zu versuchen, sich entsprechend zu verhalten, dann haben sie weiterhin ein Problem. Sie müssen davon überzeugt sein und tagtäglich entsprechend handeln. Andererseits gibt es einige an der Wall Street, die das verstehen und umsetzen. Deren Unternehmen geht es auch relativ gut.
INTERCONSILIUM: Wie kann man diese Umsetzung denn innerhalb der Organisation fördern, um mehr gute Führungskräfte hervorzubringen?
KAPLAN: Na, da bin ich wohl befangen. Externe Trainer und Coaches können helfen. Zuallererst muss aber der CEO das Thema aufnehmen und forcieren. Ich habe mich in meiner ganzen Karriere darauf fokussiert, Führungskräfte für meine Firma zu entwickeln. Wenn Sie das persönlich machen, können Sie eine ganz schön schlagkräftige Firma gestalten.
INTERCONSILIUM: Das hört sich ja wieder einfacher an als es ist. Schließlich muss das neue Verhalten langfristig implementiert werden.
KAPLAN: Da muss man Schritt für Schritt durch, und es sind einige Schritte, die auch nicht einfach sind. Das umzusetzen, was ich vorschlage, ist überhaupt nicht einfach, obwohl es sich sehr einfach anhört. Noch einmal. Alles beginnt mit einer klaren Vision, daraus abgeleiteten Prioritäten und einer entsprechend ausgerichteten Organisation. Können Sie wirklich ihre 3 bis 5 Top-Prioritäten klar benennen? Haben Sie diese mehr als genug kommuniziert? Haben Sie Beförderungen genutzt, um entsprechende Personen zu positionieren? Haben Sie neue Mitarbeiter entsprechend ausgesucht? Dieses Handeln wird Ihre Vision zum Leben erwecken. Es geht um die gesamte Art und Weise, wie Sie managen. Wie Sie coachen. Wie Sie Mitarbeiter vergüten. Alles, was Sie tun, um Ihre Vision zu erfüllen. Es einfach zu tun und zu handeln, das führt langfristig zum Erfolg.
INTERCONSILIUM: Die wahre Herausforderung ist doch, die Trägheit der Organisation zu überwinden.
KAPLAN: Aus meiner Erfahrung gibt es immer gute Mitarbeiter in den Organisationen, die nur darauf warten, einbezogen zu werden und mit viel Leidenschaft daran arbeiten zu können, etwas Positives zu erreichen. Die Mitarbeiter wollen doch wirkliche Werte schaffen. Passivität herrscht vor, weil man vielleicht nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Was ich meine kommt genau wieder zu Ihrem Punkt. Wenn man eine klare Richtung vorgibt, wird Trägheit nicht lange vorherrschen. Natürlich gehört es auch dazu, die Mitarbeiter entsprechend auszubilden und zu fördern oder für Schlüsselpositionen entsprechende neue Mitarbeiter einzustellen, um das Ziel zu erreichen. Natürlich kann es sein, dass einige Mitarbeiter nicht perfekt zur Vision passen, damit muss man umgehen. Aus meiner Erfahrung begeistern sich die Mitarbeiter aber eher dafür, wenn sie eine klare Richtung erkennen, die auch konsequent von oben nach unten gelebt wird. Sie brauchen aber teilweise etwas Hilfe, um dieses zu lernen.
INTERCONSILIUM: Da sind wir wieder bei dem, was Führung ausmacht.
KAPLAN: Genau.
Nach Strategieberatung und Gründung eines Online-Unternehmens seit 2007 mit Leib und Seele Executive Search Berater.
Hier vertrauen ihm große Familienunternehmen und Family Offices.